Donnerstag, 25. April 2013

Wohin du auch gehst, gehe mit ganzem Herzen. (Konfuzius)

 

Acht Monate in Indien sind vorbei; es ist Zeit für uns, Abschied zu nehmen und ein Fazit zu ziehen.

Die Monate in Indien waren sicherlich eine der aufregendsten, lehrreichsten und prägendsten, aber auch eine der herausforderndsten Erfahrungen für uns. Sich in einem völlig fremden Land in einer völlig fremden Umgebung zurechtzufinden fiel uns nicht immer leicht. Dennoch haben wir unser Bestes versucht und uns schließlich erfolgreich angepasst.

Eine der wichtigsten Erfahrungen war es für uns, das “wahre” Indien kennenzulernen. Da wir nicht als Touristen das Land bereisten, sondern in der Kultur und dem Land wohnten, haben wir Einblick in das echte Leben der Inder erhalten. Dies geschah durch den direkten Kontakt mit den Menschen, durch das Hören und Sehen von Lebensgeschichten und persönlichen Schicksalen, durch Hausbesuche und vieles mehr. Hierbei haben wir viele schöne Momente erlebt, aber auch einige schockierende Dinge erfahren. Diese betreffen vor allem die nach wie vor oft als nieder angesehene gesellschaftliche Stellung der Frau, das Leben in Armut vieler Menschen und ihre Machtlosigkeit, sich aus dem Teufelskreis dieser zu befreien oder die Kinderarmut.

Umso dankbarer sind wir somit für die Arbeit, die die NGOs vor Ort leisten, eine von ihnen unser Projekt PRAJNA. Seit über 25 Jahren kämpft die NGO gegen Armut, gegen die Misshandlung von Frauen und Kindern, gegen Alkoholismus und gegen viele weitere soziale und gesellschaftliche Probleme. Während unseres Freiwilligendienstes haben wir versucht, die Arbeit von PRAJNA mit allen Kräften zu unterstützen und hoffen, einen Beitrag zur Bekämpfung der Probleme in Indien geleistet zu haben.

Doch mit dem Ende unseres Freiwilligendienstes ist die Arbeit natürlich noch nicht erledigt – im Gegenteil: Sie hat gerade erst begonnen. Mit den gesammelten Erfahrungen und unserem neu gewonnenen Verständnis von sozialen Problemen in Entwicklungsländern gehen wir als Mittler zwischen den Kulturen zurück nach Deutschland, um unser Wissen und unsere Erkenntnisse in der Heimat zu verbreiten. Dies wird in Form von Rückkehrerarbeit, Vorträgen, Dokumentationen, Präsentationen und vielem mehr geschehen.

Abschließend möchten wir uns bei all den Menschen bedanken, die diesen Freiwilligendienst ermöglicht und uns auf unserem Weg unterstützt haben. Ein besonders großes “Dankeschön” richten wir an unsere Familien, unsere Entsendeorganisation Karl Kübel Stiftung, unsere Sponsoren, die Mitarbeiter von PRAJNA, unsere Mentorinnen und unsere Direktorin.

Nach acht Monaten sind wir natürlich traurig, “unser” Indien und liebgewonnene Menschen und Dinge zurückzulassen. Dennoch sind wir sicher, dass wir eines Tages in unsere zweite Heimat zurückkehren werden.

Vielen Dank an alle Leser für das Interesse an unserer Arbeit!

 

Wen oder was wir besonders vermissen werden…

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                                  Die Mädels von Preethj Sadana                                                              Die Mädels von der Fit Institution

 

 

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            Die Frauen von Short Stay- und Swadhar-Home                                                           Die kleinen Kinder von Kapikad

 

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              Nachmittage im Deaddiction Centre (Entzugsklinik)                                        Unser geliebtes Küchenteam und ihre Kochkünste

 

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                                   Alle PRAJNA-Mitarbeiter                                                                                              Unsere Direktorin
            (Hier bei von uns veranstalteten Gruppenübungen)

 

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                              Unsere lieben Mentorinnen Leena…                                                   … und Jacintha sowie deren Familie.

 

Die Reise gleicht einem Spiel;
es ist immer Gewinn und Verlust dabei,
und meist von der unerwarteten Seite;
man empfängt mehr oder weniger, als man hofft.
Für Naturen wie die meine ist eine Reise unschätzbar:
sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Donnerstag, 11. April 2013

Der Weg ist das Ziel…

 

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Was für eine Reise…! Auf unserer Tour durch Indien haben wir unglaublich viel gesehen und erlebt und sind sehr entspannt nach Mangalore und zu PRAJNA zurückgekehrt. Zurückblickend können wir nicht sagen, was uns am besten gefallen hat. Ein Highlight war sicherlich der Meditationskurs im wunderhübschen Wüstenörtchen Pushkar. Auch wenn die erhoffte Erleuchtung a la Buddha nicht eintrat, können wir behaupten, dass es eine äußerst bereichernde und eine einmalige Erfahrung war. Die Tage in und um Kochi haben ebenso sehr entspannt: Eine Bootstour auf den Backwaters, ein Tag am Strand und ein Kulturtag haben viel Energie für die Weiterreise gespendet. DER Gänsehautmoment war natürlich der Sonnenaufgang über dem Taj Mahal. Es mag abgedroschen klingen, aber in Realität ist dieses Bauwerk noch so viel wunderschöner und beeindruckender als auf jeder Postkarte. Ebenso atemberaubend waren die bizarren Landschaften und Tempelruinen in Hampi. Mumbai war mit seinen überfüllten Straßen, der nebeneinander koexistierenden Armut und Reichtum und seinen modernen Gebäuden auch sehr bewegend. Und Delhi hat uns sogar noch etwas besser gefallen. Viele Highlights und magische Momente.

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Es war eine unglaubliche Erfahrung, jenes Indien, das wir seit 7 Monaten kennen, hinter uns zu lassen und die vielen anderen Facetten des Landes zu erkunden. Was wir auf unserer Reise gelernt haben: „Ein“ Indien gibt es nicht! Dieses Land ist so vielfältig und abwechslungsreich, sodass man schon nach einer nur einstündigen Busfahrt von dem Gefühl übermannt werden kann, in einer völlig anderen Welt angelangt zu sein.

An dieser Stelle sei auch noch zu erwähnen, dass sich Indien ausgezeichnet zum Reisen eignet. Dies liegt zum einen an der oben erwähnten Vielseitigkeit des Landes, zum anderen an den öffentlichen Verkehrsmitteln, welche günstig und zuverlässig sind. Das Hauptargument für eine Reise nach Indien ist aber die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Inder - ob sie einen den Weg zu den Hängenden Gärten erklären oder ihr Abendbrot im Zug mit dir teilen - die Freundlichkeit der Inder scheint einmal mehr grenzenlos!

Dennoch waren wir sehr froh, nach unserer langen Reisezeit wieder zurück in unser vertrautes Mangalore zu kehren, in gewohnte Bahnen. Schnell ging es in den nur vierwöchigen Endspurt unserer Arbeit. Wir besuchen ein letztes Mal alle Bekannten und Freunde sowie unserer Lieblingsplätze. Wir sind viel mit dem Gestalten von Abschiedsgeschenken und -feiern beschäftigt und versuchen nicht an die anstehenden Großeinkäufe und das Packen zu denken. Jede freie Minute verbringen wir in den Kinder- und Frauengruppen, die uns so sehr ans Herz gewachsen sind. Außerdem dokumentieren wir nach wie vor Lebensgeschichten der neu eintreffenden Klienten, schreiben Erfolgsgeschichten auf, recherchieren zu wichtigen Themen und veranstalten Gruppenaktivitäten für die Mitarbeiter.

Wie ihr seht, nutzen wir unsere letzten bevorstehenden Wochen sehr intensiv, bis es bald wieder zurück nach Deutschland geht. So sehr wir Familie, Freunde, Brot und Käse an manchen Tagen vermisst haben, so wissen wir auch gleichzeitig, was uns an Indien so verzaubert hat und was uns in Deutschland alles fehlen wird: Herzlichkeit, strahlende Kindergesichter, Kollegen, die vielen Farben und Gerüche und vieles mehr - einfach viel zu viel um alles aufzuzählen. Now India is our second home!

Preethi (Kannada für “Liebe”)


Eigentlich ist Preethi eine ganz normale Frau. 23 Jahre ist sie alt, hat ihre Ausbildung beendet und träumt von einem glücklichen Leben.

Als wir Preethi zum ersten Mal treffen, lächelt sie schüchtern. Preethi wirkt zufrieden, doch ihre Augen erzählen eine ganz andere Geschichte. Eine erschreckende Geschichte, die ihr Leben von Grund auf veränderte und aus allen geregelten Bahnen warf. Eine Geschichte, die uns zutiefst berührt, weil sie nicht nur persönliche Probleme, sondern auch gesellschaftliche Missstände offenlegt:

16 Jahre war Preethi alt, als sie den Mann heiraten wollte, den sie seit 4 Jahren liebte. Ein Mann, der sie glücklich machen wollte und mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Für beide schien alles perfekt, doch Preethis Eltern konnten die Liebe der beiden aus zweierlei Gründen nicht akzeptieren: Ihr Geliebter, Rajesh, stammte aus einer anderen Kaste als Preethi. Und er war bereits einmal verheiratet und anschließend geschieden gewesen. So sehr Preethi und Rajesh alle Überzeugungskräfte einsetzten, so wenig ließen ihre Eltern sich umstimmen: Einer Ehe wollten und würden sie niemals zustimmen.

Getrieben von der starken Liebe zueinander entschieden sich Preethi und Rajesh, die Meinung ihres Elternhauses zu übergehen und trotz deren Ablehnung in Pune zu heiraten. Was für verheerende Probleme diese Entscheidung nach sich ziehen würde, hätten sie zu dem Zeitpunkt nicht ahnen können.

Preethi und Rajesh erhielten kein Heiratszertifikat und damit war ihre Ehe nicht offiziell anerkannt. Weiterhin wurden sie von ihren Eltern drangsaliert und terrorisiert. Obwohl es in Indien üblicher ist, den Kontakt zu dem Kind kappen, wenn die Eltern der Ehe nicht zugestimmt haben, nutzten Preethis Eltern ihren starken Einfluss, den sie nach wie auf ihre Tochter hatten.

Den Höhepunkt dieser Schikane bildete die Schwangerschaft Preethis, welche für Entsetzen und Entrüstung bei den Eltern sorgte. Der gesellschaftliche Druck und die Sorge um den Verlust des guten Rufes trieben sie dazu, ihre Tochter zu einer Abtreibung zu zwingen. Sie drohten damit, den finanziellen Hahn für Preethi zuzudrehen und sie sämtlicher materieller Güter zu berauben. Da Preethi auf das Geld und die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen war, hatte sie keine andere Wahl, als die Abtreibung über sich ergehen zu lassen und den Traum von einer kleinen Familie zerplatzen zu lassen.

Doch auch damit nicht genug. Preethis Eltern, welche die endgültige Loslösung von ihrer Tochter zu ihrem Mann forderten, entwarfen einen ausgeklügelten, grausamen Plan, um einen Keil zwischen die beiden zu treiben. Sie beschuldigten Rajesh, ihre Tochter vergewaltigt zu haben und zeigten ihn an. Gleichzeitig setzten sie Preethi mit Drohungen so unter Druck, sodass sie dazu angehalten war, die Vergewaltigung zu bestätigen und das Dokument zur Anzeige zu unterzeichnen.

Rajesh wurde sofort festgenommen und ahnte, wer die Anzeige zu verantworten hatte. Seine Liebe zu Preethi und die Enttäuschung und Frustration über die Situation trieben ihn zu diversen Selbstmordversuchen in der Haft. Er wollte nicht ohne seine Frau leben und konnte sich eine Zukunft ohne sie nicht vorstellen. Preethi wiederum wurde über die Selbstmordversuche ihres Mannes informiert, und wurde sich der Gräueltaten, welche ihre Eltern initiiert hatten, erstmals richtig bewusst. Nach allem, was passiert war, entschied sie sich schließlich dazu, ihre Eltern zu verlassen und sich von ihrem Einfluss zu lösen. Sie suchte das Frauenhaus PRAJNAs auf, welches ihr seitdem Unterstützung und Versorgung bietet.

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Dank des Engagements des Personals darf Preethi ihren Mann jeden Tag besuchen. Sie ist sehr besorgt, denn aus Liebe zu ihr hat er weitere Selbstmordversuche begangen und unter anderem Glasscherben geschluckt, welche starke körperliche Schäden nach sich zogen: Noch Wochen nach dem Verschlucken erbrach er Blut und fand Blut im Stuhl vor.

Die Zukunft der beiden ist ungewiss. Bald wird Preethi vor Gericht gehen, um ihre Aussage gegen Rajesh zu revidieren. Sie hofft auf eine Freilassung, um ein ganz neues Leben mit ihm beginnen zu können. Doch bis dahin muss sich sein physischer und psychischer Zustand stabilisiert haben. Wann dies passieren wird, ist unklar.

Preethis Augen erzählen diese Geschichte, die sie zu diesem Ort, zum Frauenhaus, gebracht hat. Wie viele tausende Frauen in Indien, sind Preethi große körperliche und psychische Schmerzen zugefügt worden, gegen welche sie sich aus eigener Kraft nicht wehren konnte. Doch im Gegensatz zu all den Frauen, die noch heute schlimmste Misshandlung und Unterdrückung erfahren, hatte sie den Mut, Hilfe von außen zu suchen und die Situation nicht länger hinzunehmen.